ÄTHIOPIEN FIRST – MEIN FAVORIT

Ich schaue mir das Bild von Birgits Kitab an und erinnere mich genau, wann und wo mir dieses ungewöhnliche Amulett zum ersten Mal begegnet ist. Es war in Äthiopien während einer Expedition zu den Naturvölkern im Süden des Landes. Genau zwanzig Jahre ist das nun her.

Das Nationalgericht Äthiopiens, Injera, ist ein säuerliches Fladenbrot aus Teffmehl. Optik und Geschmack dieses Alltagsgerichts waren für uns sehr gewöhnungsbedürftig.

Die ungläubigen Blicke meiner Freunde und Familie, als ich ihnen von meinen Reiseplänen berichtete, habe ich noch genau vor mir. Warum fährst du ausgerechnet nach Äthiopien – ein Land, das man nur mit negativen Assoziationen in Verbindung bringt? Eine Region mit hungernden Menschen, heimgesucht von Dürrekatastrophen, gezeichnet von Bürgerkriegen? Ist es überhaupt möglich, dass ausgerechnet Äthiopien – das Armenhaus Afrikas – ein attraktives Reiseziel darstellen kann? Diese Fragen musste ich mir im Vorfeld meiner Expedition im Februar des Jahres 2000 öfters gefallen lassen.

Ich greife jetzt einfach mal vorweg und sage uneingeschränkt: Ja! Äthiopien ist für mich und meine abenteuerlichen Reisen auf der Suche nach spektakulären Naturwundern, einzigartigen kulturhistorischen Orten, von westlicher Zivilisation unbeeinflussten Volksgruppen und touristisch unerschlossenen Landstrichen in Summe das weltweite Abenteuerland Nummer 1. Ihr könnt sicher sein, dass ich euch noch oft davon berichten werden.

Auf unserer Wanderung fanden wir einen gewilderten Elefanten, dessen Stosszähne ausgebrochen waren. Die Geier hatten sich bereits über die weichen Fußballen hergemacht. Die leblose Hülle eines so großartigen Tieres war ein ebenso trauriger wie erschütternder Anblick.

Meine erste Tour führte meine beiden langjährigen Reisepartner, Bernd und Peter, und mich in den Südwesten des Landes, hart an der Grenze zum Sudan, einem halbwüstenartigen Glutofen, der zu den infrastrukturell am wenigsten erschlossenen Regionen der Erde zählt. Seit langer Zeit träumte ich davon, speziell diesen entlegenen Winkel Schwarzafrikas intensiv zu erforschen. Wer sich auf ungewöhnliche Trekkingtouren in schwer erreichbaren Gegenden unserer Welt spezialisiert hat, wer sich für ethnische Minderheiten begeistern kann und wer die Herausforderungen einer Expedition im klassischen Sinne liebt, der findet in diesem Teil Äthiopiens sein Paradies.

Denn der Unterlauf des Omo-Flusses im gleichnamigen Nationalpark stellt ein völkerkundliches Phänomen dar – ein Mekka für Ethnologen und hartgesottene Outdoor-Freunde. Hier hat sich auf relativ engem Raum eine Vielzahl unterschiedlichster, halbnomadischer Volksgruppen angesiedelt, deren traditionelle Lebensweise sich bis heute aufgrund der extremen Abgeschiedenheit noch weitestgehend unberührt von westlicher Kultur und Zivilisation erhalten hat. Wir treffen unter Anderem auf die Karo, die für ihre Körperbemalungen bekannt sind, und auf die Mursi, bei denen die Frauen ihr Schönheitsideal durch sogenannte Tellerlippen aus Tonscheiben erreichen. Die hautnahe Begegnungen mit diesen Naturvölkern machte diese Reise zu den beeindruckendsten meines Lebens.


Doch kommen wir noch einmal zurück zum Kitab. In einem kleinen, wortwörtlich zwielichtigen Laden irgendwo am wenig attraktiven Stadtrand von Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, suchte ich nach einem besonderen Souvenir zur Erinnerung an unsere kulturelle Zeitreise in die Vergangenheit, zum Omo. Der umtriebige Händler wollte mir erst den üblichen Touristenschund andrehen, wie geschnitzte Holzfiguren, bunte Umhängetaschen und kitschig bemalte Kalebassen. Ich jedoch durchsuchte sein staubiges Geschäft auf der Suche nach irgendetwas Besonderem. Was das sein mochte, konnte ich nicht sagen, aber ich würde es wissen, sobald ich es fand. Und genau so war es auch.

Auf einer alten geflochten Rattan-Runddose, deren gewölbter, lederbezogener Deckel mit kleinen Kaurischnecken verziert war, lag unbeachtet eine kleine, braune Rolle. Sie erweckte sofort meine Aufmerksamkeit. Die Oberfläche war etwas speckig und mit eingeprägten Mustern verziert, die eher groben Nähte deuteten auf Handarbeit hin. Ich hatte keine Ahnung, auf was für ein antikes Kleinod ich hier gestoßen war, aber ich konnte mich der Faszination des Objekts nicht entziehen. Es war ein Kitab und Liebe auf den ersten Blick.

Heute ziert er ein kleines Fach meines uralten hölzernen Setzkastens, den ich zur Erinnerung an meiner Lehrzeit in einer Druckerei aufgehoben habe, um meinen ideell wertvollen Miniaturen aus aller Welt ein angemessenes Zuhause zu geben. Umrahmt von burmesischen Opiumgewichten, japanischen Netsuke-Erotika, balinesischen Hornschnitzereien und chinesischen Glücksbringern sieht der Kitab ganz unscheinbar aus, doch ich weiß um sein im Inneren verborgenes Geheimnis. Und wann immer ich ihn zur Hand nehme und die Augen schließe, bin ich schlagartig wieder dort, woher er stammt, in Äthiopien. Das macht mich glücklich.