DURCH DIE WÜSTE MAURETANIENS
Immer, wenn ich irgendwo in Zentralafrika unterwegs bin, faszinieren mich die vielfältigen Transportmittel und ihre kreativen Nutzungsmöglichkeiten. Die automobilen Lastenesel ächzen unter dem Gewicht zentnerschwerer Brennholzbündel, praller Säcke voller Kleidung oder üppiger Bananenstauden. Sie bergen ein überbordendes Sammelsurium an neuen Haushaltswaren, alten Möbeln, bunt emaillierten Schüsseln voller Gemüse oder undefinierbaren Gepäckstücke. Die Kombination aus LKW und Sammeltaxi ist immer ein besonderer Blickfang. Ungläubig steht man davor und staunt, wie hoch sich lokale Handelswaren auf den Ladeflächen mit sehr improvisierter Befestigungstechnik stapeln lassen. Es ist zwar ein kunterbunter, optischer Genuss, gleichzeitig jedoch ein verkehrstechnisch abenteuerliches Unterfangen, das es so wohl nur in Afrika zu sehen gibt.
Wenn man in den Binnenländern Westafrikas wie Mali, Burkina Faso oder dem Niger unterwegs ist, muss man sich darüber im Klaren werden, dass jedes Fahrzeug, das dort fährt, entweder von der westafrikanischen Goldküste, vorwiegend aus Benin oder Nigeria, nach Norden überführt wurde. Oder sie haben ihren Weg aus Europa durch abenteuerlustige Autofahrer überland durch die Sahara in die Sahelzone gemacht.
Vor ein paar Jahren habe auch ich mich entschlossen, mir einen alten Reisetraum zu erfüllen und selbst von Emsdetten im Münsterland in die sagenhafte Wüstenoase Timbuktu durch die Sahara zu fahren. Mein Gefährt ist ein zwanzig Jahre alter Nissan Patrol-Geländewagen, den ich einem Zirkus abgekauft hatte, dem er als Zugwagen für ein Kinderkarussel diente. Mit 418.000 Kilometern auf dem Tacho ist der Wagen einfach unverwüstlich! Das perfekte Afrika-Mobil. Durch passende Grafik und Aufschrift verwandeln wir meinen Patrol in das „Mali-Muli“.
Doch ein Muli reist nicht gern allein. Meine langjährigen Freunde und Reisepartner Peter und Bernd sind mit von der Partie. Beide haben sich alte Mercedes MB 100 Kleinbusse gekauft, denn diese sind in Afrika als Sammel- oder „Buschtaxis“ sehr begehrt. Da es selten öffentliche Verkehrsmittel gibt, gehören Minibusse und umgerüstete Kleintransporter als Sammeltaxis zu den typischen preiswerten Massenverkehrsmitteln in Afrikas Städten und auf dem Land. Sie beherrschen unüberseh- und unüberhörbar den chaotischen Straßenverkehr.
Sammeltaxis sind ebenso unverzichtbare Beförderungsmittel wie auch lebensgefährliche Verkehrshindernisse. Der technische Zustand der meisten Fahrzeuge läßt zu wünschen übrig. Platzauslastung hat stets Vorrang vor der Sicherheit. Das Gedränge in den überladenen Innenräumen ist unvorstellbar groß. Eine Fahrt mit ihnen ist aber immer ein unvergessliches Abenteuer mit Harakiri-Flair. Statt Verkehrsregeln vertrauen die Fahrer lieber aufgemalten christlichen oder islamischen Segenssprüchen, die vor Unfällen schützen. Unsere drei sicherheits- und verkehrstechnisch einwandfreien Fahrzeuge sollen nach erfolgreichem Verkauf in Mali ein zweites Dasein als solch unverwüstliche Personentransporter erlangen.
Wir folgen seit Tagen der „Route de l´Espoir“, der sogenannten „Straße der Hoffnung“ („Tariq al-Amal“ im Arabischen), der einzigen transmauretanischen Fernstraße, die in der chaotischen Hauptstadt Nouakchott an der Atlanktik-Küste beginnend bis zum Niemandsland Richtung Grenze von Mali führt. Es liegen schon 9.000 Kilometer hinter uns als wir bei der Ortschaft Kiffa den Abschnitt erreichen, der volkstümlich „Straße der Kadaver“ genannt wird. Es ist ein trauriger Anblick wie man ihn so leicht nicht vergisst. Hunderte von toten Tieren säumen den Straßenrand: Esel, Kühe, Ziegen und Kamele – aufgedunsen und von Fliegen übersäht. Die Einheimischen bestätigen uns, dass die Tiere Opfer der rücksichtslosen LKW-Fahrer sind, die nachts über die einzige Ost-West-Verbindung Richtung Mali donnern und oftmals bei Tierwechseln weder bremsen können noch wollen.
Zu diesem erbarmungswürdigen Anblick der Kadaver gesellen sich unzählige Autowracks, die den gnadenlosen Trip durch die Wüste nicht überlebt haben. Als ausgeschlachtete, sandgestrahlte, bizarre Stahlgerippe liegen sie jahrelang mitten im Wüstensand, dienen dabei mal als trostlose Wegmarkierung, als originelle Schießscheibe, als neue Heimat für Pflanzen und Tiere oder aber als willkommenes Spielgerüst für die Kinder.
Durch das trockene Klima der Wüste scheint für die blechernen Mahnmale die Zeit langsamer zu verrinnen als anderswo. Die patinierten Monumente einstiger Mobilität bleiben meist dort liegen, wo sie zusammenbrachen. Aufgrund der gewaltigen Entfernungen zu größeren Städten oder Häfen und der Streckenbeschaffenheit lohnte es sich meistens nicht, die Fahrzeuge zu bergen. Selbst der Stahlhunger der Chinesen, die tonnenweise Schrott aus Afrika per Schiff importieren, ignorieren das rostige Gold.
Das Ergebnis ist ein skurril-moderner Skulpturenpark mit teilweise perfekt in die Landschaft integrierten Metallkonstruktionen oder auch seltsam anmutenden Überbleibseln menschlicher Zivilisation, die einen pittoresk-anachronistischen Gegenentwurf zu der großartigen Naturkulisse bieten. Da kann man unter künstlerischer Perspektive bisweilen richtig ins Schwärmen kommen. Doch sollte die stilvolle „Rust in peace“-Begeisterung irgendwo im nirgendwo der mauretanischen Wüste nicht über die unglaubliche Vermüllung vieler afrikanischer Städte durch ebensolche Autowracks aus deutschen Landen hinwegtäuschen.
Viele Jahre nach unserem denkwürdigen Transsahara-Abenteuer schaue ich mir die Bilder der Reise und der vielen Autowracks nochmals an. Es ist erstaunlich, wie unkritisch und unbedarft wir unsere damalige Auto-Überführungsaktion durchgezogen haben. Ich habe damals keinen Gedanken daran verschwendet, womöglich selbst zu dem langfristigen Umweltproblem vieler afrikanischer Länder durch den Import alter Fahrzeuge aus Europa beigetragen zu haben. Klar ist, der wachsende Konsumgütermarkt Afrikas verlangt nach immer mehr Mobilität, aber ein vorbildliches Europa, das sich Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben hat, muss andere Lösungen finden, unter denen die Umwelt nicht leidet.
Nichtsdestotrotz ist eine Reise durch Afrika mit dem eigenen Auto eine einzigartige Erfahrung, die ich keinesfalls missen möchte. Vor allem die hautnahen Kontakte zur lokalen Bevölkerung machen den Roadtrip zu einem unvergesslichen Erlebnis. Am Freitag Abend, 7.2.2020 berichte ich um 19 Uhr über diese abenteuerliche Fahrt in der Afrika Lounge des Weinhandels „PÖ19“ in der Hamburger Milchstraße 19.