SCHÖNSTER PLATZ: WORLD´S VIEW

Meine Augen sind geschlossen. Ich spüre die wohlige Wärme der Sonne auf meiner Haut und die Rauhigkeit des Felsens unter mir. Eine leichte Brise verbreitet den süßblumigen Hauch der Schirmakazien. Kein Geräusch stört die Ruhe. Ich atme langsam und sehr bewusst. Dann, nach endlos erscheinenden Minuten, öffne ich wieder die Augen. Vor mir breitet sich die majestätische Weite des südlichen Afrikas aus, eine scheinbar unberührte Landschaft, wie sie schöner kaum sein kann.

Die Farben der Savanne changieren zwischen dem saftigen Grün der Bäume und dem beruhigenden Ockerton der Erde. In der Ferne ziehen einige Giraffen vorbei, am Mpopoma-Flusstal kann ich eine Gruppe Zebras ausmachen, ein Adler dreht kreischend seine Runden am stahlblauen Himmel. Auf den umliegenden Hügeln türmen sich schroffe Granitkugeln in einer der Schwerkraft widersprechenden Weise als fast unmöglich erscheinender Balanceakt. Diese ebenso imposanten wie attraktiven, 200 Millionen Jahre alten Felsformationen heißen entsprechend „Balancing Rocks“.

Der Matopos Park ist auch bekannt für seine bis zu 10.000 Jahre alten Felsmalereien. Im Innern der weltberühmten Höhlen mit den musikalischen Namen „Pomongwe“ und „Bambata“ finden sich vorgeschichtliche Fresken mit urtümlichen Jagdszenen, die zu den großartigsten ihrer Art gehören. Die Spiritualität dieses erhabenen Ortes, den schon die alten Buschmänner früher regelmäßig aufgesucht haben, ist überall zu spüren.

Ich sitze auf einem riesigen Granitblock, auf dem heiligen Hügel des Matabelevolkes, Malindidzimu genannt. Mein exponierter Sitzplatz mutet an wie ein natürlicher Thron und bietet einen grandiosen Ausblick auf die traumhafte Kulisse der sanften Hügellandschaft des Matopos Nationalparks im Südwesten Zimbabwes, rund 35 Kilometer südlich der Stadt Bulawayo entfernt. Dieser wunderschön gelegene Ort wird „World’s View“ genannt und ich kann mir keinen besseren Namen hierfür vorstellen.

Man sagt, die wahre Lebensqualität bemisst sich nicht in der Anzahl der Atemzüge, sondern in der Anzahl der Momente, die uns den Atem rauben. Ich durfte schon viele solcher atemberaubender Plätze auf der Welt erleben, aber „World’s View“ verdient wahrlich die Bezeichnung „magisch“, da hier eine einzigartige Symbiose aus spektakulärer Umgebung mit dem Zauber der Savanne und dem Geist der Geschichte Afrikas entsteht.

Nur wenige Meter unter mir befindet sich eine in den Fels eingelassene, schlichte Bronzeplatte mit der Aufschrift „Hier ruhen die sterblichen Überreste von Cecil John Rhodes“. „World’s View“ ist die letzte Ruhestätte des britischen Eroberers Cecil Rhodes (1853 – 1902), einer der bis heute eine der schillerndsten und umstrittensten Gestalten des britischen Imperialismus. Die FAZ bezeichnete ihn einst als „Afrikas Held und Schurke“. Rhodes betrat den Kontinent erstmals 1870 als 17-Jähriger, um sein Glück als Diamantenschürfer zu versuchen und wurde durch das Diamanten- und Goldgeschäft zu einem der reichsten Männer der Welt.

Ich lese seinen Namen und träume mich zurück in die Zeit, als das Innere des südlichen Afrikas noch vollständig unerforscht war. Der Abenteurer Rhodes steht als Synonym für die Sucht nach ewigem Ruhm und unermesslichen Reichtum. Letzteres erwarb er sich auch dank seiner charismatischen Persönlichkeit mit der Gründung des südafrikanischen Unternehmen DeBeers im Jahr 1888, dem größten Diamantenproduzenten und -händler der Welt.

Ausgestattet mit der finanziellen Macht von DeBeers organisierte Rhodes auf eigene Faust Treks, Expeditionen und militärische Vorstöße ins Bechuana- und Matabeleland. Die Suche nach sagenhaften Goldminen war seine Triebfeder. Sie machte ihn in der Hochphase des Imperialismus zu einem der führenden Akteure des Wettlaufs um das südliche Afrika, um Belgiern, Portugiesen, Deutschen und Buren zuvorkommen. Die von ihm für das Britische Weltreich erworbenen Kolonien, größer als Frankreich, England und Deutschland zusammen, erhielten letztendlich seinen Namen: Rhodesien. Unter Rhodes Ägide wurde Süd-Rhodesien 1891 zum britischen Protektorat, er selbst amtierte zwischen 1890 bis 1896 als Premierminister der Kapkolonie.

Cecil Rhodes starb am 26. März 1902. In seinem Testament verfügte er, an dem nach seiner Meinung schönsten Platz der Welt begraben zu werden – „World’s View“. Der Binnenstaat Rhodesien wurde 1980 unabhängig und in Zimbabwe umbenannt. Meine erste Reise in das damals sicherste und wirtschaftlich erfolgreichste Land Afrikas unter dem noch vorbildlichen Landesführer Robert Mugabe erfolgte 1995. Der Besuch von „World’s View“, heute eine wahre Pilgerstätte für abenteuerhungrige Touristen, war das persönliche Highlight meiner Reise. Diesen aussergewöhnlichen Ort „World’s View“ zu besuchen, bedeutet für mich Entschleunigung pur. Das Verschmelzen mit der Natur. Den Geist Afrikas einatmen. Das Gefühl, in Afrika angekommen zu sein und bei mir selbst.