SCHILDKRÖTEN SCHUTZPROJEKTE TEIL 1
Ich liebe Schildkröten. Sie strahlen eine ansteckende Ruhe und Gemächlichkeit aus, die perfekt zu unserem Wunsch nach Beständigkeit in sich ständig verändernden Zeiten passen. Doch meine erste, fundamentale Begegnung mit den faszinierenden Urzeitgeschöpfen reicht schon eine ganze Weile zurück. 1987 bekam ich die Chance, mich als Freiwilliger in einer Schildkrötenaufzuchtstation in Französisch Guayana zu engagieren. In der Nähe des Indianerdorfes Yalima Po im Nordwesten des kleinen, südamerikanischen Landes, unterstützte Greenpeace mit Umweltschützern eine kleine Brutstation für die seltenen Riesentiere. Sie tauften das Projekt „Kawana“ – so werden die Lederschildkröten von den Indios genannt.
Wir kampierten wochenlang unter ziemlich primitiven Verhältnissen in dem nur durch einen Schotterweg mit der Außenwelt verbundenen Dorf, das aus ein paar Dutzend mit Palmblättern gedeckten, offenen Holzhütten bestand. Am nahe gelegenen Strand von Les Hattes gingen wir jeden Tag und jede Nacht auf Patrouille, um die schwerfälligen Reptilien aus dem tiefen Schlick oder aus den Fängen der Fischernetze zu befreien. Gerade diese Arbeit war sehr anstrengend, wenn man die kaum vorstellbare Größe der Tiere – bis zu drei Meter Länge – und ihr Gewicht von bis zu 900 Kilo berücksichtigt.
Wir gruben die Schildkröteneier sorgfältig aus, zählten sie und legten oberhalb der Flutkante neue Gelege an. Nach dem Schlüpfen bewachten wir die kleinen Krabbler vor streunenden Hunden und sorgten für einen sicheren Zugang zum Meer. Für mich war dieses Projekt die perfekte Kombination aus Abenteuer und Naturschutz, denn ich konnte meine Reise mit einer Sinnhaftigkeit der besonderen Art verbinden. Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft zu sein, die zur Rettung von Meeresschildkröten beitrug, sorgte zusätzlich für ein großartiges Gefühl.
Die Population der Lederschildkröte im Ost-Pazifik ist in den letzten 20 Jahren um mehr als 90% zurückgegangen. Um diesen dramatischen Rückgang zu stoppen und die Population zu stabilisieren, hat beispielsweise der WWF konkrete Maßnahmen zum Schutz der Lederschildkröte initiiert. Es wurden neue marine Schutzgebiete eingerichtet, Strände mit Schutzzonen für die Eiablage der Schildkröten ausgestattet sowie die Fischereimethoden in Australien, Papua-Neuguinea, Indonesien, auf den Philippinen und auf den Fidji-Inseln verbessert. Um einem ähnlich schnellen Rückgang der Lederschildkrötenpopulation im Atlantik vorzubeugen, wie zum Beispiel an der Eiablagestelle in Französisch Guayana, sind Schildkrötenretter auch heute noch am Strand von Les Hattes aktiv.
Ich habe seit meiner Zeit in Südamerika die Entwicklung der Schildkröten weltweit immer mal wieder verfolgt und wann und wo immer ich konnte, Brutstätten besucht – darunter auf Trinidad und auf Kuba. Im Osten Australiens wanderte ich vor Jahren im Daintree Nationalpark durch die Mangrovensümpfe auf der Suche nach Wildlife. Laut der Parkranger hätte ich kleinere Schildkröten finden sollen, aber zu meiner großen Überraschung fand ich einen riesigen Panzer. Zwar war das Tier tot, aber der Rückenschild bewies die Existenz einer Population von gewaltigen Tieren, die hier niemand mehr vermutet hätte. Die Natur findet immer einen Weg, ihr Überleben zu sichern und ich war ein wenig stolz, durch meinen außergewöhnlichen Fund einen wichtigen Beweis dafür hatte liefern können.
Durch mein besonderes Augenmerk auf die Urzeittiere konnte ich erst vor Kurzem erneut als begeisterter Schildkrötenretter meiner Bestimmung nachgehen. Auf dem Salomonen-Archipel der Südsee fand ich in einer Plastikwanne hinter einer Hütte zufällig eine zappelnde Schildkröte. Ich fragte gezielt nach und wurde noch in anderen Hütten fündig. Diese vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten dienen den Einheimischen als willkommene Bereicherung des Speiseplans. Unsere Reisegruppe sammelte spontan Geld ein, kaufte die Tiere und setzte sie in tieferen Gewässern außerhalb der Fangreviere der Fischer wieder frei. Würde jeder Reisende dasselbe tun, könnten sich die Einheimischen eine neue Einnahmequelle erschließen und hätten keinen Grund mehr, die Schildkröten nur für den Suppentopf zu fangen.
Schon auf meiner nächsten Südsee-Reise stieß ich während einer Dschungelwanderung durch die kleine Insel Alotau im Osten Neuguineas auf eine fast fünfzig Kilo schwere Karrettschildkröte. Die Einheimischen hatten sie bereits auf den Rücken gedreht, um sie an der Flucht zu hindern, während sie eine Schubkarre zum Abtransport holten. Unbeobachtet drehte ich sie um und beobachtete ihren zielgerichteten Rückmarsch ins sichere Wasserrefugium des Meeres. Wären die Fischer in dem Moment wieder erschienen, hätte ich sie für ihren Verlust natürlich entschädigt.
Heute stehen immer noch sechs der sieben Meeresschildkrötenarten auf der „Roten Liste“. Die Bejagung der Tiere lässt die Population seit 500 Jahren drastisch sinken. Auch die industrielle Fischerei, die Verschmutzung der Meere durch Plastik und der menschengemachte Klimawandel haben die Tiere an den Rand der Auslöschung gebracht. Tun wir deshalb, was wir können, um uns allen die wunderschönen Anblicke von Schildkröten in der freien Natur auch zukünftig zu erhalten.