FRIEDENSNOBELPREIS WFP – ZERO HUNGER

Vor kurzem gab das norwegische Nobelkomitee in Oslo überraschend bekannt, dass der Friedensnobelpreis 2020 dem „World Food Programme“ zuerkannt wird. Das Welternährungsprogramm ist die wichtigste Einrichtung der Vereinten Nationen im Kampf gegen den globalen Hunger. 17000 Frauen und Männer des WFP kämpfen täglich ohne Unterlass an den „kompliziertesten und komplexesten Plätzen der Welt“ – wie es der Leiter David Beasley formulierte – um rund 100 Millionen Menschen in allen Krisenherden der Erde mit Nahrung zu versorgen.

Krank und unterernährt – das Schicksal von Millionen Kindern, nicht nur in Afrika

Das Komitee begründete die Vergabe der wichtigsten politischen Auszeichnung der Welt so: „Das Welternährungsprogramm wurde für ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Hungers und für ihren Beitrag zur Verbesserung der Friedensbedingungen in den von Konflikten betroffenen Gebieten ausgezeichnet.“ Der Preis ist ein wichtiges Signal an die westliche Welt, die Armutsschere in den Entwicklungsländern nicht länger zu ignorieren. Die klare Aufforderung: Schaut nicht weg, mischt euch an, werdet aktiv.

Werbeschild für ein Restaurant in Togo. Es gibt nur Reis, Mais und  geschmacklosen Maniokbrei (‚Fufu‘)

Ich bin Teil einer verwöhnten Konsum- und Wegwerfgesellschaft, in der Überfluss ganz normal ist und habe noch nie in meinem Leben echten Hunger erlebt. Ich konnte Zeit meines Lebens aus dem Vollen schöpfen, habe täglich die Qual der Wahl beim Einkaufen, Kochen, Essen. Die echte Wertschätzung für diese Lebensqualität ist jedoch viel zu gering. Vor allem die Verschwendung ist Wahnsinn! Unser maßloser Umgang mit Lebensmitteln wirkt sich sowohl negativ auf die Umwelt und die Ressourcen, als auch auf die Versorgung vor allem der Bevölkerung in den ärmeren Ländern aus. Ein Blick auf die ungleichmäßige Verteilung der globalen Ressourcen und Nahrungsmittel ist erschreckend.

All diese Menschen teilen ein Schicksal: langfristige Perspektivlosigkeit, aber kurzfristig müssen sie jeden Tag aufs Neue mit einem Riesenproblem umgehen: Hunger! In einer Welt, in der es eigentlich genug Nahrung für alle gibt, gehen noch immer knapp 700 Millionen Menschen mit leerem Magen zu Bett. 2019 litten 135 Millionen Menschen in 55 Ländern akut Hunger. Da ist es beschämend, zu lesen, dass die Corona-Krise die Superreichen rund um den Globus noch reicher gemacht hat. Das Gesamtvermögen der mehr als 2000 Dollar-Milliardäre weltweit stieg bis Ende Juli auf den Rekordwert von rund 8,7 Billionen Euro und ist damit mehr als doppelt so hoch wie die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung von Deutschland als größter Volkswirtschaft Europas.

Ich nutze meine privilegierte Situation, um zu reisen, die Welt in all ihren Facetten kennen zu lernen, sie begeistert, aber auch kritisch zu betrachten und darüber zu berichten. Seit fünfundzwanzig Jahren reise ich aus Leidenschaft nach Afrika und bereichere mich an der geschichtsträchtigen Kultur, den grandiosen Naturlandschaften, der beeindruckenden Tierwelt und der ethnischen Völkervielfalt. Es zieht mich stets in die abgelegenen Regionen der eher untouristischen Länder des schwarzen Kontinents, wie zum Beispiel Mali, Uganda, Äthiopien, Kongo, Zimbabwe, Kamerun oder Mauretanien. Was ich dort zu sehen bekomme, ist manchmal erschütternd! Jedes Mal, wenn ich wieder außerhalb Europas unterwegs bin, werde ich schmerzlich daran erinnert, dass ich nicht nur profitieren darf, sondern dass es meine Verpflichtung ist, meinen persönlichen Beitrag zu leisten, die Missstände in der Welt zu verbessern.

Hunderte von Kartons mit eigentlich unverkäuflichen Hilfsgüter werden auf einem Markt in Addis Abeba, Äthiopien verkauft, weil korrupte Importeure und lokale Beamte die Gelder in die eigenen Taschen umleiten. Diese Anblicke machen mich traurig und wütend, aber Betroffenheit allein bringt keine Verbesserung, also muss ich aktiv werden.

Womit ich bislang konfrontiert wurde, verlieh den eher anonymen Fernsehbildern eine schockierende Realität. Ich traf auf Kinder, die jeden Tag stundenlang zu verschmutzten Wasserlöchern laufen müssen, da es in ihren staubtrockenen Dörfern keine sauberen Flussläufe oder keine Grundwasser-Pumpen gibt. Mein Herz gebietet mir, sie alle retten zu wollen, und ich habe dabei stets das Bild meines eigenen Sohnes im Sinn. Aber der Verstand holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück und führte mir meine Unfähigkeit, selbst hier und jetzt nachhaltige Verbesserungsmaßnahmen initiieren zu können, schmerzlich vor Augen. Dieser ständige Wechsel zwischen Dankbarkeit über die eigene Lebensqualität und die Konfrontation mit der Ungerechtigkeit zerren an mir. Allein deshalb ist der Wert der Auszeichnung für das WFP und die Wertschätzung der Arbeit, die hier geleistet wird, gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Bei den Savannenbewohnern der Karamojong im Norden Ugandas war die Armut besonders extrem.  Die Kleidung der Kleidung ist alt, zerrissen, verdreckt. Eigentlich sind es nur Lumpen, die sie irgendwie umhüllen, die menschenunwürdiger nicht sein könnten. Die extreme Armut der Eltern bietet jedoch keine Alternative. Ich schaue in die dunklen, regungslosen Gesichter. Sie sind hart, keine Kindergesichter. Es sind mitleiderregende, eindringliche Blicke, die mich durchdringend anstarren. Ich sehe keine Freude, kein Leuchten. Stattdessen zeugen sie von Entbehrungen, harter Arbeit und Gewalt durch Milizen. Die Sorglosigkeit und Unbeschwertheit, die eine Kindheit auszeichnen sollte, gibt es hier nicht. Nirgends! Es ist eine geraubte Kindheit. Bei jedem Blick auf die Fotos wird mir die Verpflichtung bewusst, im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas zu unternehmen.

Kinder sind immer diejenigen, die am wenigsten etwas für die Missstände der Welt können, haben jedoch am meisten darunter zu leiden.

Was habe ich bisher getan, wenn ich Dörfer in Zentralafrika besucht habe, wo die Outdoor-Küche aus armseligen, zerbrochenen Geräten besteht und wo nur eine dünne Suppe gekocht wird?  ‚Brot für die Welt‘ bedeutete bislang für mich im Kleinen, in jedem Dorf, das wir beispielsweise in Angola besucht haben, sack- und kartonweise wertvolle Lebensmittel als Gastgeschenke mitzubringen. Die offen gezeigte Dankbarkeit sprach Bände, die teils sogar gierigen Blicke der hungrigen Dorfbewohner beschämten mich, nicht ein Vielfaches der Menge mitgebracht zu haben. Doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein und vor allem war es kein nachhaltiger Ansatz.

Abtransport eines Strunks Bananen nach erfolgreicher Ernte im Süden von Kamerun

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an das WFP hat mich zum erneuten Nachdenken gebracht. Was kann ich ganz persönlich dazu beitragen, um nicht nur mit verändertem Konsumverhalten meinen Beitrag im Kleinen zu leisten, um zum Beispiel das Klima weniger zu schädigen? Ich weiß, dass das Ziel ‚Zero Hunger‘ oberste Priorität des UN World Food Programme (WFP) hat. Es verfolgt die Absicht, Hunger zu beenden, Ernährung zu verbessern, den Zugang zu Nahrungsmitteln und deren Verfügbarkeit zu sichern und nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Die Förderung des Bewusstseins der ungerechten Verteilung und sinnvollen Verwendung von Lebensmitteln auf der Welt ist der erste Schritt in Richtung ‚Zero Hunger‘.

Verschlammter Obst- und Gemüsemarkt in Äthiopien

Ich will auch aktiv werden, um das Ziel ‚Zero Hunger‘ mit voran zu treiben, doch ein Lippenbekenntnis in die Tat umzusetzen, ist gar nicht so leicht. Es ist mir zu wenig, einfach nur mehr zu spenden, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich kann und will mehr tun, doch was? Der ‚Geistesblitz‘ kam bei weiterführender Recherche zum Thema Hunger. Ein großer Teil von Körnern, Getreiden und Mehl wird durch Insektenbefall, Mäusefraß und Verunreinigung unbrauchbar. Es fehlen passende Aufbewahrungsmöglichkeiten in den Hütten. Hier könnte ich meine Erfahrungen und Fähigkeiten als Verpackungsingenieur wunderbar einsetzen, um den Menschen, die Hilfe benötigen, wirklich zu helfen. Ich würde gerne ein Projekt initiieren, um einen sicheren, sauberen und stabilen Mehl- und Körnerbehälter mit großer Schrauböffnung zu entwickeln und vor Ort aus recyceltem Kunststoff zu produzieren, den ich dann in den Dörfern verteilen kann.

Das wäre ein sinnvoller und pragmatischer Ansatz, um ohnehin schon knappe Lebensmittel-Ressourcen zu sichern. So eine ‚CornBox‘ (Arbeitstitel) gemeinsam mit den Menschen, die mir zu so vielen fantastischen Erlebnissen in Afrika verholfen haben, in bestmöglicher Weise umzusetzen, wäre ein vielversprechender Ansatz, um etwas Nachhaltiges aufbauen. Das würde zu mir passen. Ich sehe meine Rolle, meine Stärke, darin, nicht nur am Schreibtisch sitzend zu delegieren, sondern vor Ort selber anfassen, um Dinge zu bewegen.  Die CornBox könnte mein persönlicher Beitrag sein.

Permanentes Flüchtlingslager im Kongo, wo Großfamilien unter katastrophalen hygienischen Bedingungen in provisorischen Behausungen hausen, die aus unserem Wohlstandsmüll gebaut sind.  Die wenigen Habseligkeiten der Menschen sind erschütternd und erfordern sofortige Gegenmaßnahmen.

Der tägliche Marsch durch die Trockenheit zur Wasserstelle kostet mehrere Stunden

Wie würde man konkret vorgehen? Ich würde auf meiner nächsten Afrika-Reise nicht einfach nur farbenfrohe Märkte besuchen, wo die Erwachsenen (und Kinder!) ihre wenigen Agrarprodukte bisweilen im Dreck sitzend verkaufen und meine Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Es ist wichtiger, genau hinsehen, um zu verstehen, welche wiederverwendbaren Verpackungen dafür benötigt werden, um Lagerung und Transport zu verbessern. Man müsste hinterfragen, wo und wie die Lebensmittel aufbewahrt und was daran geändert werden müsste. Sinnvollerweise würde man sich ein Dorf aussuchen, um dort dieses spezielle Entwicklungshilfeprojekte als Pilotprojekt umzusetzen, sobald das Reisen Corona-bedingt wieder möglich ist. Mein festes Vorhaben: keine Reise mehr, die nur dem Nehmen dient, sondern auch dem Geben.

Typischer Kochplatz im Alantika-Hochland von Kamerun. Es gibt für alle Arten von Lebensmitteln nur Tongefäße und Säcke, die unzureichend schützen.

Es ist nicht weniger als eine gewaltige Menschheitsaufgabe, die auf uns wartet, um das Leben der Menschen bis 2030 dauerhaft zu verbessern. Unterstützen wir das Zero Hunger-Engagement, so gut wir können. Zur Realisierung der CornBox braucht es inspirierende Mitdenker, aktive Mitstreiter und notwendige Unterstützer – zeitlich, ideell und auch finanziell. Ich halte euch auf dem
Laufenden, wie sich das Projekt entwickelt.