Schlafen heißt Vertrauen: Kopfsache vs. Bauchgefühl
Ich schaue mir wiederholt diese skurrilen Bilder an, die meine Reisebegleiter von mir in mehr oder weniger originellen Ruhelagen, Schlafpositionen und -umgebungen gemacht und dabei die Zeit eingefroren haben. Ich versuche, mir die bisweilen denkwürdigen Umstände wieder in Erinnerung zu rufen und mich nochmals in jede einzelne Situation hineinzuversetzen.
Raum und Zeit vergehen beim Betrachten wie im Fluge. Die Fotos dokumentieren besondere Situationen, die auf meinen Reisen viel prägender waren als noch so romantische Nächte in irgendwelchen luxuriösen Hotels, die letztlich belanglos gewesen wären. Hinter der wortwörtlichen Oberflächlichkeit der Schlafbilder, verbirgt sich eine sehr spezielle Intimität.
Zum Glück verfüge ich rein physisch über die wunderbare Fähigkeit, mich trotz Licht, Lärm, Lehm und Luxusferne in wenig erstrebenswerten Posen hinzulegen und sofort einschlafen zu können. Das ist ein Segen! Nichts könnte mich vom Langschlaf oder Power Napping abbringen. Doch sehr viel bedeutender und weitaus spannender ist die Frage, was ich dabei denke und fühle.
Der Schlüssel zum Reiseerfolg liegt darin, länderspezifische Eigenarten und kulturelle Unterschiede nicht nur so zu akzeptieren wie sie sind, sondern sich regelrecht darauf und darüber zu freuen. Deshalb verlassen wir unsere Heimat und unseren sicheren Hafen. Deshalb reisen wir in die Welt hinaus. Fremde bedeutet nicht Feinde. Unbekanntes Terrain bedeutet keine zwangsläufige Bedrohung und Schlafen bedeutet nicht, sich seiner Umwelt schutzlos auszuliefern.
Doch manchmal dominiert genau diese scheinbare Machtlosigkeit das Denken und Handeln. Dann ist es umso wichtiger, sich selbst auf widrigste Umstände einzulassen, sich anzupassen, sich mit Minimalstandards zufrieden zu geben und sich mit der Umwelt und sich ständig ändernden Rahmenbedingungen bestmöglich zu arrangieren. Instinkte werden geweckt, Intuition ist gefragt und Improvisationstalent gefordert. Genau das macht das Reisen aus.
Auf Abenteuertouren durch abgeschiedene Regionen jenseits ausgetretener Touristenpfade bin ich vielfältigen Risiken oder gar Gefahren ausgesetzt. Es ist mein unerschütterlicher Glaube in das Gute der Welt, der mich trägt und täglich ruhen und einschlafen lässt. Ich bin tief in meinem Innern sicher, dass meine Verletzbarkeit im Schlaf auch im öffentlichen Raum nicht ausgenutzt wird.
Um mein Haupt an manch zweifelhaften Orten zu betten, bedarf es mehr Überwindung als Mut. Man sollte stets Respekt vor den Schattenseiten des Daseins haben, viel Erfahrung mitbringen, was man sich und seinem Körper zumuten darf, gesunde Skepsis zeigen und bestmögliche Vorsorge für Leib und Seele treffen, aber Angst ist ein schlechter Berater. Sie nicht zu ignorieren, sondern sie zu beherrschen und für sich als wertvolles Alarmsignal zu nutzen, ist entscheidend für das Wohlfühlen, das Wohlbefinden und vielleicht sogar für das Überleben.
Wo auch immer ich mich zur Ruhe lege, wichtig ist, mit der Umwelt und all seinen Auswüchsen klarkommen, das Beste daraus zu machen und draussen – unter freiem Himmel – ggf. Teil der Natur zu werden und sich ihr friedlich völlig hinzugeben. Diese Qualität bietet keine noch so attraktive, sichere und einladende Unterkunft voller verheißungsvoller Annehmlichkeiten.
Natürlich, gerade des nachts, wenn Diebe umherschleichen, Dramen geschehen und die Dämonen kommen, sollte man sich sicher fühlen, entspannen können und beruhigt sein. Dann ist Vertrauen in sich und das Leben der stärkste Verbündete. Diese tiefe Kraft sorgt für das benötigte Selbstvertrauen, die Zuversicht und den inneren Frieden. Mit dieser Gewissheit gesegnet, ist der Schlaf ungeachtet allen vorstellbaren Ungemachs immer und überall auf Reisen ein ebenso wichtiger wie unverzichtbarer Teil des Gesamterlebnisses.